Kun­st und Kohle | Dort­mund

Vor kurzem fragte mich ein naher Ver­wandter, ob ich das Buch „Stein­ham­mer“ von Jörg Thadeusz kenne. Ich kan­nte es nicht. Er erzählte mir, dass es darin unter anderem um einen Friseur­sa­lon in der Stein­ham­mer­straße gehe, den er selb­st als Kind besucht habe. Daraufhin fragte ich ihn, ob er nicht ein paar Erin­nerun­gen auf­schreiben und meinem Artikel beis­teuern möchte. Im Fol­gen­den also erst mal eine kleine Ret­ro­spek­tive.

Die Stein­ham­mer­straße war in den 60er Jahren eine beliebte Einkauf­sstraße in Lüt­gen­dort­mund und Umge­bung. Mit mein­er Mut­ter bin ich dort häu­fig einkaufen gegan­gen. Wir gin­gen dann den Kley­er Weg runter, bei Tante Anna vor­bei. Das war eine Kneipe am Ende des Kley­er Weges. Wie diese hieß, daran kann ich mich nicht mehr erin­nern. Jeden­falls gehörte sie ein­er älteren Frau, die meis­tens schlief, während sich die Gäste ihr Bier selb­st zapften kon­nten und hof­fentlich auch bezahlten. Um mir ein paar Süßigkeit­en zu kaufen, habe ich vor der Kneipe ihren Namen gerufen, da ich mich anfangs nicht rein­traute. Tante Anna kam dann jedes Mal raus.

Auf der Borus­si­as­traße war das Lebens­mit­telgeschäft Tüll­mann, in dem meine Mut­ter einkaufen ging und sich gerne mit den Mitar­bei­t­erin­nen unter­hielt. Durch einen Tun­nel vom Güter­bahn­hof kon­nte man damals von der Stein­ham­mer­straße zur Karo­li­nen­straße laufen. Den Geruch in diesem Tun­nel habe ich als sehr gren­zw­er­tig in Erin­nerung. Wenn man am Tun­nel vor­beig­ing, kon­nte man auch ger­adeaus auf die Borus­si­as­traße gelan­gen. Auf der linken Seite war der Bahn­hof, wo heute alles kom­plett zugewach­sen ist.

Es gab im Bahn­hof eine Kneipe, in der, so erzählte mir meine Schwest­er, sich zwis­chen­durch einige BVB-Spiel­er aufhiel­ten, da sie dort in Ruhe gelassen wur­den und ihr Bier trinken kon­nten. Von dort aus rechts gelangte man zur Stein­ham­mer­straße. Direkt auf der Ecke gab es eben­falls eine Kneipe. Es kur­sierte das Gerücht, dass man dort auf­grund der Gäste etwas vor­sichtig sein sollte. Etwas weit­er Rich­tung Marten gab es eine Bäck­erei, in der meine Schwest­er eine Aus­bil­dung machte. Kurz dahin­ter war, zumin­d­est in den 70er Jahren, eine Fahrschule, in der ich meinen Führerschein erwarb.

Auf der Stein­ham­mer­straße gab es das Geschäft Schür­mann, dort wurde unter anderem Spielzeug verkauft. Als Kind war ich da natür­lich immer gerne. Der Getränke­markt Rudat, der heute im Ort­steil Oespel ist, hat­te sein erstes Geschäft damals auf der Stein­ham­mer­straße. Im Bier trink­enden Alter von ca. 15 Jahren habe ich bei Rudat das ange­blich stärk­ste Bier der Welt gekauft. Das schmeck­te so furcht­bar, dass ich es nach einem Schluck wegkippte. Ich blieb dann doch lieber bei Rit­ter und Kro­nen­bier. Wenn ich mal knapp bei Kasse war, gab es Fel­skro­ne.

Neben Rudat war der besagte Frisör­sa­lon Thad­deusz. Mein Vater drängte mich hin und wieder dazu, dort meine Lock­en­pracht abschnei­den zu lassen. Peter Thadeusz fragte mich bei jedem Besuch, während er ver­suchte, meine Mähne zu käm­men, ob ich da Kau­gum­mi reingek­lebt hätte. Was hat der mich damit gen­ervt! Ich dachte dann immer: Und du mit deinem komis­chen Haarschnitt bist der Friseur. Du kön­ntest auch mal einen besseren Haarschnitt ver­tra­gen. Getraut, ihm das zu sagen, habe ich mich aber nicht. Meine Schwest­er hat­te das Buch von Jörg Thadeusz auch gele­sen. Als ich mich mit ihr über die Stein­ham­mer­straße unter­hielt, sagte ich ihr, dass ich in Erin­nerung habe, dass Peter, der Friseur, leicht gehinkt habe. Sie sagte mir, dass er ein Holzbein hat­te.

Sein Vater Jupp war wohl an mein­er anderen Schwest­er inter­essiert, die sich dann aber für jemand anderen entsch­ied. Am Ende der Stein­ham­mer­straße gab es ein kleines Kino, das ich auch mal besucht habe. An den Film kann ich mich allerd­ings nicht mehr erin­nern. Da fällt mir noch ein: Kurz bevor man zur Marten­er Brücke kommt, geht rechts ein Weg ab. Dort wollte mein Vater, nach­dem ihm die Polizei dazu ger­at­en hat­te, Geld für ein Fahrrad ein­fordern. Dieses hat­te mir ein gewiss­er Pza­lek, oder so ähn­lich, demoliert, nach­dem er mir und meinem Fre­und Michael mit seinen Fre­un­den was aufs Maul gehauen hat­te. Kurz nach­dem mein Vater in die Straße einge­bo­gen war, drehte er um und meinte, das würde sich hier nicht lohnen.

Das Buch und ein kurz­er Abriss des Inhalts

Den Roman habe ich mir besorgt. Erstens war es für mich auf­grund der Lokalität inter­es­sant, zweit­ens hörte sich das The­ma dur­chaus vielver­sprechend an. Soviel sei an dieser Stelle gesagt: Den Roman habe ich gerne gele­sen. Ich würde ihn auch uneingeschränkt weit­erempfehlen, wenn man sich für Kun­st im All­ge­meinen inter­essiert, das Ruhrge­bi­et oder ein­fach eine inter­es­sante Geschichte lesen möchte.

In dem Buch geht es um den jun­gen Edgar Woicik. Er ist der Sohn eines pol­nis­chen Frem­dar­beit­ers und ein­er deutschen Mut­ter und wächst in Lüt­gen­dort­mund, ein­er typ­is­chen Zechen­sied­lung des Ruhrge­bi­ets in der Nachkriegszeit, auf. Der All­t­ag ist von Armut geprägt. Er soll den Friseur­sa­lon seines Onkels und Stief­vaters übernehmen, wobei ihm schon früh klar wird, dass er das nicht möchte. Die Alter­na­tive ist der Pütt, der zwar bess­er, aber aus sein­er Sicht auch keine zufrieden­stel­lende Option darstellt.

Sein­er Fre­undin Nel­ly und seinem Fre­und Jür­gen geht es ähn­lich. Auch sie möcht­en der Ein­tönigkeit dieses Ortes ent­fliehen. Edgars große Lei­den­schaft ist das Malen. Über den Umweg ein­er Lehre bei Hort­en zum Schaufen­s­ter­deko­ra­teur wird er danach auf­grund sein­er Begabung an der Kun­stakademie Düs­sel­dorf angenom­men. So find­et er seinen Weg als Kün­stler.

Der Roman ist geprägt von ein­er Auf­bruch­stim­mung und ein­er gewis­sen Rebel­lion gegen ältere Gen­er­a­tio­nen, um nicht densel­ben Weg ein­schla­gen zu müssen. Zudem gibt es eine Menge sozialer Prob­leme. Aller Widrigkeit­en zum Trotz ziehen sich auch Liebe und Fre­und­schaft wie ein rot­er Faden durch den gesamten Roman.

Die Pro­tag­o­nis­ten weisen einige Par­al­le­len zu real existieren­den Per­so­n­en auf. Auch die Orte, an denen die Geschichte spielt, sind nicht fik­tiv. So ist beispiel­weise das Leben des Edgar Woicik angelehnt an den mit dem Autor ver­wandten Nor­bert Tadeusz, der ein Meis­ter­schüler von Joseph Beuys wurde. Hier möchte ich nicht so sehr ins Detail gehen und den Wahrheits­ge­halt sowie die Sicht des Autors auf das Bergar­beit­er­m­i­lieu und die Kun­st beurteilen.

Foto­tour durch die Stein­ham­mer­straße

An diesem diesi­gen und ver­reg­neten Feiertag zog es mich selb­st in die besagte Straße. Sie ver­läuft par­al­lel zur S‑Bahn‑Strecke zwis­chen Dortmund‑Germania und Dortmund‑Marten Süd, durch den Bezirk Lüt­gen­dort­mund und den Stadt­teil Marten. Für mich nur ein Katzen­sprung. Fernab von jeglich­er Nos­tal­gie und Ruhrpot­tro­man­tik sind hier die Spuren der Ver­gan­gen­heit noch omnipräsent. Man kön­nte meinen, es habe sich seit der Zeit von Nor­bert Tadeusz nicht son­der­lich viel verän­dert.

Allerd­ings gab es zu dieser Zeit, wie an ander­er Stelle schon erwäh­nt, einige Kneipen und Läden in dieser Gegend, von denen heute besten­falls nur noch Spuren sicht­bar sind. Zwar gibt es einige sanierte Gebäude, doch ein großer Teil ist Leer­stand und von starkem Ver­fall geprägt. Auf let­ztere habe ich mich bei mein­er Foto­tour haupt­säch­lich konzen­tri­ert, um die Pri­vat­sphäre der dort leben­den Men­schen zu wahren.

Abschließend möchte ich noch sagen, dass ich auch an diesem Tag nach­spüren kon­nte, weshalb Edgar und seine Fre­unde die Stein­ham­mer­straße ver­ließen. Auch wenn sich in dieser Hin­sicht wahrschein­lich nicht allzu viel geän­dert hat, sind heutige Werte‑ und Moralvorstel­lun­gen zum Teil ganz andere. Auch das Kun­stver­ständ­nis hat sich im Laufe der Zeit gewan­delt.

Infor­ma­tio­nen über den Maler Nor­bert Tadeusz find­et ihr unter anderem auf Wikipedia. Eine aus­führliche Buchvorstel­lung von Jörg Thadeusz im Diet­rich-Keun­ing-Haus in Dort­mund gibt es auf Youtube. Ein Video zu Jörg Thadeusz und die Stein­ham­mer­straße von Wes­t­art eben­falls auf Youtube.

Fotos: © Maks

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